Der wahre Grund, warum Profi-Fotografen niemals unbearbeitet Fotos herausgeben

Wisst ihr was? Immer wenn andere Fotografen mit dem Argument kommen “Ich gebe meine unbearbeiteten Fotos nicht heraus, weil die Kunden mit dem RAW-Format nichts anfangen können und zudem die unbearbeiteten Roh-Fotos flach und langweilig wirken.”, kräuseln sich meine Fingernägel.

Dem Kunden ist das egal. Er findet nämlich das unbearbeitete Foto vielleicht TROTZDEM schön. Denn genau das hat er ja im Vergleich vorab auf dem Kameradisplay oder durch die Auswahl-Galerie gesehen. Das Fotografen-Argument ist nämlich nur technisch und nicht visuell. Und Letzteres ist nun mal das, was am Ende zählt.

Aber liebe Fotografen, ich kann euch beruhigen. Auch ich gebe keine unbearbeiteten Fotos heraus. Ich kann auf der einen Seite unsere Kunden sehr verstehen, aber auf der anderen Seite auch uns Fotografen. Denn wir haben eine andere Sichtweise: Die des Handwerkers, Künstlers, einer etablierten Marke mit Wiedererkennungswert und auch den Herzenswunsch, jahrelang wirtschaftlich zu bleiben – damit wir für immer das anbieten können, was wir lieben. <3 🙂 Wir Fotografen wollen gebucht werden, weil unsere fertigen Fotos unseren Modellen und Kunden gefallen!

Fragen, die nicht täglich, aber vielleicht alle paar Jahre mal an uns Fotografen gestellt werden sind:
– Bekommen wir zusätzlich auch alle RAW-Dateien? Vielleicht möchte ich die Fotos später einmal selbst bearbeiten.
– Ich habe jetzt meine Auswahl von 20 Fotos getroffen, aber was passiert mit den unbearbeiteten Fotos. Warum bekommen wir die nicht auch?
– Kannst du uns fotografieren? Aber ich möchte gerne den Bearbeitungsstil eines anderen Fotografen … (Hab ich Gott sei Dank noch nicht gehabt, aber ein Kollege)

Warum bekommen wir Fotografen diese Fragen hin- und wieder? Und warum bekommen andere Branchen diese Fragen nicht gestellt? Oder weiß ich davon nur nichts?! 🙂

Was andere Branchen tun, tun wir Fotografen auch

Ich möchte nun einmal mit verschiedenen Vergleichen mit dem typischen Argument der Fotografen aufräumen und unseren Modellen und Kunden die Möglichkeit geben, den wahren Grund zu verstehen. Denn eigentlich kennen unsere Modelle diesen Grund schon aus anderen Branchen – aber er wird in unserer Fotobranche manchmal einfach nicht akzeptiert.

Kurz vorab: Die Sache mit dem Preis

Generell noch einmal vorab: Willst du schnell, gut oder günstig? Alles zusammen geht leider nicht.

Aber manchmal ist es dennoch möglich: Und zwar dann, wenn Menschen unter dem Mindestlohn arbeiten und sich trotzdem leidenschaftlich viel Mühe geben. Aber möchte man einen Menschen so ausbeuten? Es ist ja schon traurig genug, dass manche Menschen sich selbst so ausbeuten und sich nicht trauen, einen gesunden Stundensatz von mindestens 60 € netto zu nehmen.
(60 €/Stunde beziehen sich auf die GESAMTE Arbeitszeit eines Auftrages und nicht nur auf die reine Fotografie-Zeit).

Manche Dienstleister denken auch, sie sind nicht gut genug für höhere (gesunde) Preise. Möchte man jemanden buchen, der seine Arbeit selbst nicht als gut genug empfindet und sogar unsicher mit seinem Können ist?
Und anders herum an den Dienstleister: Wenn du nicht gut genug bist, warum wirst du dann gebucht? Willst du wegen deinen günstigen Preisen oder wegen deinen Fotos gebucht werden? Wirst du allein wegen deinen niedrigen Preisen gebucht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass einige Kunden mit deiner Arbeit unzufrieden sind oder deine Arbeit sie nicht begeistert. Denn sie haben sich oft nicht mit deiner Arbeit beschäftigt und wollen es nur günstig. Sie denken: Fotograf ist halt Fotograf… Einige Kunden beschäftigen sich halt leider nicht mit den Unterschieden.

Der typische Künstler-Vergleich

Künstler, die dich zeichnen: davon gibt’s so viele!
Du kannst aber nicht zu Picasso gehen und sagen “ich find mich in Original schöner. Male mich bitte wie Leonardo da Vinci die Mona Lisa.” Und du kannst nicht zum Straßenkünstler gehen und sagen “Male mich für 30 € in einer Stunde wie die Mona Lisa.”

Das ist schlicht und ergreifend nicht gut für den Künstler. Picasso wäre niemals mit dieser Arbeitsweise erfolgreich geworden, wenn er alles querbeet Angeboten hätte. Dann wäre er vergleichbar mit anderen Künstlern gewesen und die Modelle hätten die Wahl. Ist ja egal, ob Picasso, Leonardo da Vinci oder der Straßenkünstler. Ich will ja nur mein Gemälde. 😉
Und ein Picasso oder Leonardo da Vinci hätten dir auch niemals ein Ausmalbild angefertigt und dir ihre Farbpalette samt Pinsel mitgegeben, damit du es selbst ausmahlen kannst. Dafür gibt’s die bekannte blaue Firma, die auch Puzzle und Spiele herstellt. 😂

Der Restaurant-Vergleich

Warum besucht ihr ein sehr teures Restaurant, wenn es beim Imbiss nebenan für weniger Geld mehr essen gibt?
Die Gerichte im Restaurant kosten sehr viel und man hat wenig auf dem Teller. Für das Geld kann man ruhig die doppelte Portion verlangen, oder nicht? Manche werden nicht einmal satt!!!

Aber in dieser Branche weiß jeder doch vorher, dass ein Gourmetrestaurant keine überfüllten Teller anbietet, wie der Super Size Döner in der Imbissbude nebenan.
Aber der Döner ist billiger und bietet mehr für das Geld. Und er schmeckt sogar lecker. Wieso kann mir das teure Restaurant nicht auch einfach das Fleisch in ein Brötchen stopfen? Die Zutaten sind doch alle in deren Küche vorhanden! Ich lasse schließlich so viel Geld dort!

Aber viele Menschen sind mit dem Besuch des Gourmet-Restaurants super zufrieden und werden satt.
Es ist ein Erlebnis und man hat sich bewusst für den Besuch entschieden, weil man die Speisekarte spannend fand, die man VOR dem Besuch schon online gesehen hat. Daher bestellt man bei einem Italiener ja auch keine Pizza mit Ente süß-sauer.

Auch rohe Zutaten werden dir nicht auf dem Tisch serviert. Denn wenn du selbst kochen willst, gehst du in den Supermarkt und verarbeitest die Zutaten zuhause selbst.
Du bekommst auch niemals das Original-Rezept des Restaurants, weil du das Gericht später zuhause nachkochen möchtest.

Der Hollywood-Film-Vergleich

Einen Hollywood-Kinofilm sieht man nicht in der Rohfassung. Dort findet IMMER ein Color Grading (Bildbearbeitung) statt. Das ist die Handschrift des Filmes und das lässt den Betrachter emotionaler in den Film eintauchen. Hier ist der Vorteil aus Künstlersicht: Der Kunde sieht die Vorher-Version nicht und kann nicht vergleichen. Würde Hollywood jetzt für jeden Geschmack den Bildstil ändern oder weglassen, kann man nur erahnen, dass das nach Hinten los geht. Das wars dann mit den schönen Filmen im Kino. Kann ja gleich Jeremy mit seiner tollen 4K-Sony einen Film drehen. Und seine Freundin war ja damals in der Theater-AG auch schon immer eine tolle Protagonistin

Der Produkt-Vergleich

Auch das iPhone bekommst du nicht mit dem Betriebssystem Android, nur weil du Android besser findest, aber das iPhone schöner. Würde Apple dies tun, wären sie nicht mehr erfolgreich und marktfähig.

Es ist deine Wahl…

… du musst abwägen: Was ist es DIR Wert? Und in der Regel kannst du vorher schon sehen, was du für dein Geld bzw. deine Investition in etwas Einmaliges bekommst. Der Dienstleister gibt sich selber und seiner Arbeitszeit auch einen Wert. Dieser ist ganz Individuell und hängt von ganz verschiedenen und nicht immer gleichen Faktoren ab. Sie sind nicht untereinander mit anderen Dienstleistern der gleichen Branche vergleichbar.

Der Fotograf

Wir können die Unternehmen nicht negativ dafür betrachten, wenn sie dir nicht das anbieten, was du woanders bekommst. Jedes Unternehmen, jeder Selbstständige ist ein Individuum. Wir wollen etwas erschaffen und anbieten, was es nicht an jeder Straßenecke gibt. Wir wollen Einzigartigkeit und somit etwas ganz Besonderes anbieten! Wir wollen ein Erlebnis erschaffen und euch mit dem Ergebnis glücklich machen.
Und was wir nicht wollen, ist es, uns vergleichbar zu machen. Aus künstlerischer und auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht. Daher gibt es einen festen Bildstil. 🙂

Allerdings ist es auch nicht so, dass ein Fotograf zu 100% an jedem Bearbeitungsschritt auf verderb und gedeih festhalten will. Wie in einem guten Restaurant kannst du nach etwas weniger oder mehr Salz bitten. Dir ist deine Jeans zu blau? Klar, dass kann ich anpassen. Dir ist dein Gesicht zu blass oder braun? Auch das ist kein Problem. Solche kleinen Dinge zerstören nicht gleich den Bildlook und können nachträglich noch angepasst werden. 🙂

Die Alternative zum Fotografen

Man kann sich mittlerweile schon für wenig Geld hochwertige Kameras mieten, bei Freunden leihen oder man kennt Onkel Bob, der ambitionierter Hobbyfotograf ist. Wenn du also unbearbeitete Fotos möchtest, nimm eines von den genannten alternativen Angeboten.
Onkel Bob wird allerdings langfristig nicht als Marke erfolgreich bleiben, wenn er jedem die unbearbeiteten und/oder rohen Fotos direkt aus der Speicherkarte hergibt.

Onkel Bobs gibts in jeder Branche
– Es gibt auch Onkel Bobs, die schöne Möbel aus Holz bauen und dafür nur einen Fünfziger für das Material und ein Mett-Brötchen nehmen.
– Tante Matilda malt dir ein schönes Portrait.
– Der ITler von nebenan hackt dir Android auf dein iPhone.
– Und der Kumpel, der Filme liebt, dreht dir einen schönen Film a là Blair Witch Project.

Und all das kann auch etwas Schönes sein! … Aber halt anders.

Fazit: Für jeden Wunsch gibt’s das richtige Angebot. Und das ist auch gut so.

Ich kenne keine erfolgreiche langlebige Marke, die von ihrer Angebotslinie abweicht. Wenn sie das tun, machen sie sich vergleichbar, bleiben nicht im Gedächtnis der Menschen und bleiben leider dadurch oft auch nicht wirtschaftlich.

So ist es auch mit uns Fotografen. Wir sind Handwerker/Künstler und oft Einzelkämpfer. Aber auch hier gibt’s Studioketten. Jeder (Vollzeit-)Selbständige kalkuliert fair und so, dass man lange und in Krisenzeiten auf dem Markt überlebt. Wir wollen schließlich auch nicht 2x überlegen, ob wir uns das Leben leisten können.

Würden wir Fotografen unserem roten Faden nicht treu bleiben, wirkt sich das langfristig meistens negativ raus.

Am Ende zerreden sich die Menschen den Mund, weil sie weniger für die unbearbeiteten Fotos bezahlt habe, aber die bearbeiteten Fotos von der Freundin, die beim gleichen Fotografen war, viel schöner findet. Verständlich …
(Ist mir übrigens schon einmal passiert, obwohl ich es vorab kommuniziert hab. Aber die Menschen hören nur, was sie hören wollen und ziehen Vergleiche durch das Sichtbare. Seitdem bekommt ihr meine Arbeit nur noch “ganz und mit viel Herzblut oder gar nicht”. Ich mache keine Kompromisse in der Qualität mehr…. Qualität geht bei mir vor Quantität).

Und deshalb geben Fotografen ihre unbearbeiteten Fotos halt auch nicht heraus. Es führt zu einem schlechten Image, weil man keine eindeutige Linie fährt und der Fotograf bleibt nicht im Kopf der Menschen, weil seine Arbeit nicht klar erkennbar ist.

… Wie gesagt: Für jeden Wunsch gibts das richtige Angebot und jeder sieht den Wert woanders. Preis-Leistung ist für jeden etwas Individuelles. Auch das ist gut so. 🙂

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